Seit 2016 bildet der Sankt-Lorenz-Strom bei der kanadischen Millionenmetropole Montreal die Bühne für eine gewaltige Choreografie aus Lastkähnen, Schleppern, schweren Maschinen und Geräten. Das Arrangement dient dem Bau der 3,4 Kilometer langen, neuen Champlain Brücke, einer zukünftigen Hauptverkehrsader der Stadt. Mitten in diesem komplexen Gewusel trafen wir die projekteigene „Marine Rescue Crew“, die Mannschaft von der Seenotrettung, die auf dem Fluss für mögliche Zwischenfälle bereitsteht.
ZUSATZARTIKEL
Arbeitssicherheit:
Die Retter vom Sankt-Lorenz-Strom
Wenn der Fluss zum potenziellen Gegner wird
Der Sankt-Lorenz-Strom ist ein beeindruckendes Naturschauspiel. Vor dem Zentrum Montreals bildet der Fluss ein bis zu fünf Kilometer breites Becken, doch schon kurz danach verengt sich das Flussbett wieder auf nur wenige Hundert Meter. Auf halbem Weg zwischen diesen Extremen baut ein Konsortium um HOCHTIEF eine neue Autobahnbrücke, die „New Champlain Bridge“, über Nordamerikas drittgrößten Fluss. Das zu überquerende Gewässer fordert von allen Beteiligten größten Respekt, denn es ist tückisch in seinen Bewegungen und im kanadischen Winter in kürzester Zeit ein eiskaltes Grab für alle, die in seine Fänge geraten. „Arbeitssicherheit gehört deshalb zur DNA dieses Vorhabens“, sagt Jean Charron, Gesundheits- und Sicherheitsmanager des Projekts.
Seenotrettung rund um die Uhr
Um die riesige Schrägseilbrücke zu errichten, müssen viele Bauteile am und im Wasser installiert werden: Marinefundamente, massive Fertigteile, Pfeilerkappen, Hohlkästen und vieles mehr. Deshalb stehen jetzt Kapitän Réal Desrochers und seine drei Kollegen dick eingepackt und schon mit Schwimmwesten bekleidet am Fluss und bereiten ihr Boot vor. Die vier Unerschrockenen gehören zur insgesamt zwölfköpfigen Seenotrettungsmannschaft des Projekts. Aufgeteilt in Teams, sind die Rettungsspezialisten rund um die Uhr im Einsatz, sodass die Arbeitszeiten an der Brücke komplett abgedeckt sind.
Arbeit unter erschwerten Bedingungen
Die „Marine Rescue Crew“ ist quasi ständig auf dem Wasser und patrouilliert entlang der Baustelle. Das hört sich einfacher an, als es ist. „Der Sankt-Lorenz-Strom hat viele starke Strömungen, deshalb brauchen wir die besten Boote, die man bekommen kann“, berichtet Bootskapitän Réal Desrochers, zugleich Leiter des Seenotrettungsteams. Im Einsatz sind zwei Spezialboote: ein stark motorisiertes 17-Fuß-Motorboot mit einem starren Rumpf und – besonders für die Wintermonate – das technische Boot UMA 17: „Es bringt uns schnell und einfach dorthin, wo wir gebraucht werden – auch bei Eis“, so Réal Desrochers.
Höchster Einsatz für die Sicherheit
Trotz des guten Equipments bedeuten die Arbeiten auf dem Fluss jederzeit ein Risiko und erfordern neben großer Erfahrung auf dem Wasser auch höchste Aufmerksamkeit. „Der Zugang zur Baustelle ist für uns immer eine kleine Herausforderung“, sagt der erfahrene Teamleiter – mit einer gehörigen Portion Understatement, denn sobald sich das kleine Boot auf den Fluss begibt, springt es über die Wellen und kämpft sich durch die Strömung, dass man schon vom Zuschauen seekrank werden kann. Für Réal Desrochers und sein Team ist das Alltag. Für die anderen Arbeiter auf der riesigen Brückenbaustelle ist die ständige Sichtbarkeit der Seenotretter eine große Beruhigung. „Zu wissen, dass Rettungskräfte in der Nähe sind, gibt den Bauarbeitern einfach ein sichereres Gefühl“, sagt Gesundheits- und Sicherheitsmanager Jean Charron.
Retter werden ständig fortgebildet
Jean Charron ergänzt, dass sich neben den Seenotretter auch zahlreiche weitere Mitarbeiter mit dem Thema Arbeitssicherheit beschäftigen. Schließlich soll es gar nicht erst zu einem Ernstfall kommen, bei dem die Männer auf dem Wasser benötigt werden. „Wir verfügen über viele Techniker, die an Land auf den verschiedenen Baustellenarealen für die Unfallprävention zuständig sind“, so Charron. Bau- und Rettungskräfte bildeten mittlerweile zudem ein großes Team, jeder könne auch zu einem Einsatz mit in die Boote. „Die Teams verfügen über die nötige Schiffsausrüstung und Ausbildung, sind zertifizierte Ersthelfer und werden kontinuierlich geschult.“ Auch wenn sich die Fertigstellung der New Champlain Bridge ihrem Ende nähert, die Erfahrungen vom Sankt-Lorenz-Strom werden in die Arbeitssicherheitskonzepte zukünftiger Projekte einfließen und dafür sorgen, dass Arbeitern nichts passiert und im Ernstfall Hilfe auch in rauen Gewässern schnell vor Ort ist.
Info
Eine neue Brücke für Montreal
Bei dem PPP-Großprojekt „New Champlain Bridge Corridor“ sind mehrere HOCHTIEF-Einheiten im Einsatz: HOCHTIEF PPP Solutions ist mit 25 Prozent an der Projektgesellschaft „Signature on the Saint-Lawrence Group“ beteiligt, wohingegen Flatiron Partner des „Design-Build-Joint-Ventures“ ist. Das Konsortium um HOCHTIEF ist für die Planung, den Bau, die Finanzierung und den 31-jährigen Betrieb der neuen Autobahnbrücke verantwortlich. Das Bauvorhaben ersetzt die bestehende Champlain-Brücke, die sich dem Ende ihrer Nutzungsdauer nähert. Circa 60 Millionen Fahrzeuge werden die neue Brücke jährlich überqueren.
Ausgezeichnete Leistung
Der „New Champlain Bridge Corridor“ hat 2018 den Envision Platinum Award für nachhaltige Infrastruktur erhalten. Für den Envision-Platinum-Status muss ein Projekt nachweisen, dass es bestimmte ökologische, soziale und wirtschaftliche Vorteile bietet. Der New Champlain Bridge Corridor ist das erste von Envision anerkannte Projekt in der kanadischen Provinz Québec und das zweite Brückenprojekt überhaupt, das mit einem Envision Award in Nordamerika ausgezeichnet wurde.